Ein guter Grund mehr Bio zu essen: eine artenreiche Darmflora

21.09.2021 - Niederlande

Ein Bio-Apfel enthält mehr Mikroorganismen verschiedener Arten – unerlässlich für die menschliche (Darm-)Gesundheit. Das geht aus einer österreichischen Studie aus dem Jahr 2019 hervor, in der die mikrobielle Biodiversität auf konventionell angebauten und biologisch erzeugten Äpfeln miteinander verglichen wurde. Andere aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Diversität an Mikroorganismen unerlässlich für unsere Gesundheit ist. Deshalb unterstützt Eosta nun eine Studie der Stifung Bac2nature und der Universität Maastricht, die den Zusammenhang zwischen der Art des Anbaus, der mikrobiotischen Artenvielfalt und der Verdauung untersucht. „Biodiversität ist Vitalität", fasst Eosta-Direktor Volkert Engelsman zusammen.

Photo by Khamkhor on Unsplash

Wussten Sie schon, dass Sie beim Essen eines kompletten Apfels ungefähr 100 Millionen Bakterien zu sich nehmen? Dabei spielt keine Rolle, ob der Apfel konventionell oder biologisch erzeugt wurde – die Menge der Bakterien bleibt gleich. Einen wesentlichen Unterschied gibt es dennoch: die Artenvielfalt der Bakterien in einem Bio-Apfel, vor allem im Fruchtfleisch, ist wesentlich größer! In der österreichischen Apfel-Studie betrug die Artenvielfalt im Bio-Apfel, gemessen mit dem Shannon-Index, ungefähr 6, bei einem herkömmlichen Apfel waren es ungefähr 4. Der Shannon-Index ist die am häufigsten verwendete Kennzahl für die biologische Vielfalt und misst nicht nur die Artenzahl, sondern auch die Anzahl der Individuen je Art. Je besser die Biodiversität, umso höher die Kennzahl. Überraschenderweise war der Großteil der Bakterien nicht auf der Apfelschale zu finden, sondern befand sich – auch, was die unterschiedlichen Bakterienstämme anging– in Fruchtfleisch und Kerngehäuse. Volkert Engelsman, Direktor von Eosta, erklärt: „Es ist schon lange bekannt, dass die intensive Landwirtschaft die Vielfalt der Arten an Mikroorganismen im Boden ausdünnt. Jetzt wurde erstmals nachgewiesen, dass die intensive Landwirtschaft auch das Mikrobiom in unseren Lebensmitteln reduziert. Und das ist wahrscheinlich nicht förderlich für unsere Gesundheit".

Bac2food untersucht Zusammenhang näher

Marco van Es, Gründer der Stiftung Bac2nature, die den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Gesundheit erforscht, geht einen Schritt weiter und fasst zusammen: „Die biologische Vielfalt ist das Herzstück unserer Gesundheit". Gemeinsam mit der Universität Maastricht und der VU Universität Amsterdam hat die Stiftung 2020 eine Studie (Bac2food) ins Leben gerufen, die nun die Zusammenhänge zwischen der mikrobiellen Vielfalt in Lebensmitteln und der Verdauung genauer untersuchen will. Dank der stark gesunkenen Kosten für DNA-Analysen ist es jetzt viel einfacher, die Artenvielfalt des Mikrobioms in Lebensmitteln und im Körper zu untersuchen. Eosta ist eine der Organisationen, die diese Untersuchung unterstützt.

Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit

Der Einfluss des Mikrobioms auf die Gesundheit ist groß. Die Forschung zeigt, dass Mikroorganismen eine wichtige Rolle bei Unter- und Übergewicht spielen können; zudem beeinflussen sie über das Immun-, Nerven- und Kreislaufsystem all unsere Organe. Die bei weitem meisten Bakterien (sowie Pilze und andere Mikroorganismen) im menschlichen Körper befinden sich in unserem Verdauungssystem. Im Darm leben etwa 100-mal mehr Bakterien als auf der Haut (in der Lunge sind es etwa 10-mal mehr). Auch schein ein klarer Zusammenhang zwischen einer artenreichen Darmflora und der Gesundheit zu bestehen. So zeigen Forschungsergebnisse unter anderem, dass gesunde 90-Jährige mehr Arten an Darmbakterien besitzen als durchschnittliche Erwachsene.

Ein artenreiches Mikrobiom ist wichtig

Die Biodiversitäts-Hypothese, eine neue Version der früheren Hygiene-Hypothese, besagt, dass der Kontakt mit der natürlichen Umgebung das menschliche Mikrobiom bereichert, was zu einem verbesserten Immunsystem sowie zum Schutz vor Allergien und entzündlichen Erkrankungen führt. Die Vermeidung des Kontakts mit dem natürlichen Artenreichtum (z.B. durch den Verzehr vieler industriell verarbeiteter Lebensmittel oder durch eine einseitige Ernährung) kann sich daher negativ auf das Immunsystem auswirken. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass der Kontakt mit einer großen Vielfalt von Mikroorganismen in jungen Jahren wichtig ist, um ein überaktives Immunsystem zu verhindern. Der Boden spielt dabei eine große Rolle. So kommt ein Kleinkind, das in einer natürlichen Umgebung aufwächst und im Freien spielt, automatisch in Kontakt mit Erde – was einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Immunsystems leistet.

Neue Techniken machen das Artensterben im Darm sichtbar

Neue biologische Forschungstechniken sorgen für Durchbrüche in diesem Bereich. MWAS-Studien (Metagenome-Wide Association), die den Zusammenhang zwischen dem menschlichen Mikrobiom und komplexen Krankheiten (wie Diabetes Typ 2 oder Rheuma) untersuchen, zeigen, dass der Verlust der biologischen Vielfalt im Darm mit der Entwicklung chronischer Krankheiten in Verbindung steht. „Nomics"-Techniken wie die Genomik machen es immer einfacher, die Zusammenhänge zwischen biologischer Vielfalt des Bodens, Pflanzengesundheit, Lebensmittelqualität und menschlicher Gesundheit zu entschlüsseln.

Vom evolutionären Standpunkt aus logisch

Es gibt auch evolutionäre Argumente für die Bedeutung der biologischen Vielfalt in unseren Lebensmitteln und in unserer Umwelt. Der Mensch hat sich so entwickelt, dass er mit einer großen Vielfalt von Organismen in seinem Lebensumfeld und in seinem Körper koexistiert. „Und die Evolution funktioniert so, dass sie aus unvermeidlichen Umständen auf Dauer notwendige Lebensbedingungen macht", sagt Marco van Es. Der westliche Lebensstil hat einen schlechten Einfluss auf das Mikrobiom im Körper. Völker, die als Jäger und Sammler leben (z. B. die Hadzas in Tansania), scheinen die höchste biologische Vielfalt in ihrem Verdauungstrakt zu besitzen, gefolgt von Völkern, die traditionelle Landwirtschaft betreiben. Menschen, die in westlichen urbanisierten Gesellschaften leben, stehen am unteren Ende dieses Vergleichs. In den sogenannten „Blauen Zonen", also den Gebieten der Erde, in denen Menschen besonders lange leben, ernähren sie sich zum Großteil frisch, saisonal und von selbst erzeugten Produkten – und profitieren so von einer artenreichen Darmflora.

Bio-Lebensmittel und Gesundheit

All dies liefert ein neues Argument für den potenziell gesundheitsfördernden Effekt von Bio-Lebensmitteln. Obwohl es keinen wissenschaftlichen Konsens über die gesundheitlichen Vorteile von Bio-Lebensmitteln gibt, gibt es Hinweise darauf. Zum einen enthalten Bio-Lebensmittel weniger Pestizide, und es ist bekannt, dass Pestizide u. a. hormonelle Störungen verursachen. Im Urin von Menschen, die sich ökologisch ernähren, werden deutlich weniger Pestizide gefunden. Zum anderen enthalten Bio-Lebensmittel oft mehr Nährstoffe wie Antioxidantien. Nun liefert die österreichische Untersuchung an Äpfeln ein neues Argument: Die Vielfalt des Mikrobioms ist bei Bio-Lebensmitteln höher. Übrigens hat eine Studie der Stanford Universität bereits 2012 gezeigt, dass es auf Bio-Lebensmitteln weniger multiresistente (schädliche) Keime gibt.

Mikrobiom in Lebensmitteln beeinflusst Darmmikrobiom

Auch wenn es auf der Hand zu liegen scheint, gilt es in der Wissenschaft noch nicht als erwiesen, dass das Mikrobiom in Lebensmitteln auch das Mikrobiom im Körper beeinflusst. Schließlich durchlaufen die Bakterien, die wir essen, zunächst ein Magensäurebad und andere Verdauungsprozesse. Eine Studie, die am 25. Mai 2020 in Nature veröffentlicht wurde, lieferte jedoch den ersten direkten Beweis dafür, dass unsere Nahrung das Mikrobiom unseres Darms beeinflusst; fermentierte Lebensmittel scheinen unseren Darm und unser Blut mit Milchsäurebakterien zu versorgen. Darüber hinaus gibt die DNA-Forschung eine klare Richtung vor: Das Genom lässt vermuten, dass unsere Darmbakterien alle von Nahrungsbakterien abstammen.

Balance zwischen Hygiene und Artenvielfalt

Eine entscheidende Frage, so Marco van Es von Bac2nature, müsse lauten: Wie kann man den Artenreichtum an Darmbakterien im Körper durch Ernährung und Lebensstil beeinflussen? Schließlich könne man nicht einfach herumlaufen und Schlamm oder verdorbene Lebensmittel essen, so Van Es weiter – mangelnde Hygiene kann lebensgefährlich sein, wie massenhafte Lebensmittelvergiftungen in der Vergangenheit gezeigt haben. Die Frage ist also, wie sich Lebensmittelsicherheit und Mikrobiom-Kontakt am besten miteinander kombinieren lassen.

Bac2food Studie: Erste Ergebnisse Ende 2021

Um diese Frage zu klären, sind umfangreiche Untersuchungen nötig. Eosta unterstützt seit April 2021 das Projekt Bac2food, in dem untersucht wird, ob frisches, roh verzehrtes und in einem Boden mit artenreichem Mikrobiom gewachsenes Obst und Gemüse einen positiven Effekt auf das Verdauungssystem hat. Die ersten Ergebnisse werden im Oktober oder November 2021 erwartet und sollen Anfang 2022 veröffentlicht werden. Die Forschungsarbeiten werden von Iris van Zoelen von der Universität Maastricht unter der Leitung von Professor Koen Venema (Maastricht) und Professor Roel Kort (VU Amsterdam) durchgeführt. Die Untersuchung befasst sich speziell mit den Anbaumethoden von Tomaten, Gurken, Paprika und Salat, wobei zu beachten ist, dass Tomaten, Gurken und Paprika in Gewächshäusern angebaut werden, während Salat im Freiland angebaut wird.

Im breiteren Kontext: Biodiversität ist für unser Fortbestehen entscheidend

Natürlich ist biologische Vielfalt nicht nur für unseren Körper wichtig. Der Verlust an Artenvielfalt auf unserem Planeten macht uns anfälliger in allen Bereichen: Ökosystemleistungen wie fruchtbare Böden, Verfügbarkeit von Wasser und sogar das Klima werden davon beeinflusst. Das Gleiche gilt für das Auftreten von Zoonosen und neuartigen Viren wie Covid-19. In einer Gemeinschaftsarbeit stellten Forscher verschiedener Universitäten, darunter Stanford, Berkeley und New York, 2016 fest, dass der Einfluss des Mikrobioms bei gegenwärtigen Herausforderungen in den Bereichen Ernährung, Energie, sauberes Wasser, Gesundheit und Ökosysteme von großer Bedeutung ist. Auch die niederländische Organisation für Wissenschaftsforschung (NWO) hat in den letzten Jahren mehrfach zur verstärkten Erforschung der Mikro- und Makro-Biodiversität aufgerufen.

Biodiversität: mögliches Alleinstellungsmerkmal für Bio-Lebensmittel

Volkert Engelsman, Direktor von Eosta: „Die Artenvielfalt im Großen haben wir auf unserem Planeten bereits zerstört. Jetzt macht uns die Artenvielfalt im Kleinen zu schaffen – mit Corona als bisherigem Tiefpunkt. In allen Bereichen wird deutlich, dass biologische Vielfalt gleichbedeutend mit Vitalität ist. Und das könnte durchaus ein Mega-Alleinstellungsmerkmal von Bio sein. Der Mensch selbst besteht aus Biodiversität: Unsere Körperzellen scheinen voll von Material aus Mikroorganismen zu sein, von unseren Mitochondrien bis hin zu Resten viraler DNA. Werden wir uns also darüber klar, dass Mikroorganismen eine Voraussetzung für Leben sind! In der Vergangenheit galten Bakterien immer als Feind, als Krankheitserreger. Erst in den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass Bakterien in erster Linie Partner und unverzichtbare Helfer sind, um die Gesundheit von Mensch und Planet im Gleichgewicht zu halten. Deshalb müssen wir weg von der Chemie, zurück zur Biologie".

Kurzum: Essen Sie biodivers!

Engelsman fügt hinzu: „Tim Spector, Professor für genetische Epidemiologie in London, schrieb in seinem Buch ‚The Diet Myth‘, dass die Vielfalt der Mikroben in unserem Körper heute um 30% geringer ist als noch vor 50 Jahren. Eine Ernährung mit Junkfood reduziert das gesunde Darm-Mikrobiom innerhalb von zwei Tagen dramatisch. Kurz gesagt: Auch wenn es auf diesem Gebiet noch viel zu erforschen gibt, tut man gut daran, sich in der Zwischenzeit frisch, vielseitig und biologisch zu ernähren. Laut Tim Spector ist der einzige gemeinsame Faktor einer gesunden Ernährung, eines gesunden Darms und eines gesunden Körpers die Vielfalt. Und das passt perfekt zum Konzept des ökologischen Landbaus".

 

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