Die mittelständisch geprägte Fruchtsaftindustrie ist im Umbruch: In den vergangenen Jahrzehnten ist der Pro-Kopf-Konsum von Fruchtsaft und -nektar in Deutschland deutlich gesunken. Während der Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 2000 noch bei rund 41 Litern lag, so betrug dieser im Jahr 2020 nur noch etwa 30 Liter. Diesen Trend wollen die Hersteller wieder umkehren – und zugleich Verbraucherinnen und Verbrauchern in ihrem Bedürfnis nach schmackhaften und zuckerreduzierten Getränken auf Fruchtsaftbasis ohne den Einsatz von Zusatzstoffen entgegenkommen.
Hierfür verfolgen zwei Forschungsteams der Technischen Universität München – der Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie sowie der Lehrstuhl für Mikrobiologie – einen innovativen Ansatz: Im Rahmen eines aktuellen Vorhabens der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) untersuchen sie die Möglichkeit, Frucht- und Gemüsesäfte zu fermentieren. Im Ergebnis sollen Produkte mit völlig neuartigen Bukettstoffen entstehen, die zudem durch den bei der Fermentation erfolgten Zuckerabbau kalorienreduziert sind und ebenfalls durch die natürliche haltbarkeitsfördernde Säurebildung ohne zusätzliche Konservierungsstoffe länger haltbar sind. Die derzeit bereits angewandten nicht-alkoholischen Fermentationsverfahren, beispielsweise unter Einsatz von Lactobacillus spp. oder Saccharomyces spp., erzielen in Hinblick auf ihr Wachstum in unverdünnten Fruchtsäften, Zuckerabbau und die Bildung aromaaktiver Substanzen keine guten Ergebnisse. Stresstolerante Alternativen, die an die Fermentation von Fruchtsäften angepasst sind, fehlen bislang.
Für die Fruchtsaftfermentation in Frage kommen die osmotoleranten Starterkulturen aus Bienenhonig, die selbst bei hohen Zuckergehalten von Saftkonzentraten aktiv bleiben und keinen Alkohol bilden. Zentrales Ziel des IGF-Projekts ist es daher, Essig- und Milchsäurebakterien aus Bienenhonig zu selektieren und an die Fermentation von Säften und deren Konzentrate zu adaptieren. In Vorarbeiten wurden bereits Isolate aus Bienenhonig ausgewählt: die Essigsäurebakterien Parasaccharibacter spp. und Bombella spp. sowie die Milchsäurebakterien Apilactobacillus spp. und Tetragenococcus spp.
Inwieweit die Bakterienstämme aktiv sind – also wachsen, Zucker abbauen und gewünschte Aromen bilden – wird in Apfel-, Kirsch-, Orangen- sowie weißem Traubensaft und deren Konzentraten als Fermentationsmedien untersucht. Ob die Fermentation gelungen ist und keine Fehlaromen entstanden sind, wird mittels instrumentellen Analysen sowie durch Sensorik-Panels bestimmt und bewertet. Um die Starterkulturen später in der Praxis zur nicht-alkoholischen Fruchtsaftfermentation einsetzen zu können, sollen sie an die jeweiligen Stressfaktoren durch adaptive Evolution weiter angepasst werden.
Letztlich soll ermöglicht werden, neuartige Getränkebasen und -zutaten mit reduziertem Zuckergehalt für das Flavouring von Getränken und die Einführung von Getränkeinnovationen zu entwickeln, die auch dem Wunsch von Verbraucherinnen und Verbrauchern nach hochwertigen Clean-Label-Produkten entsprechen. Hersteller von Fruchtsäften, fruchtsafthaltigen Erfrischungsgetränken und fermentierten Getränken können von diesem Vorhaben daher ganz erheblich profitieren. Insbesondere die in der Fruchtsaftindustrie vorrangig vertreteten kleinen und mittelständischen Unternehmen sind einem zunehmenden Preis- und Innovationsdruck ausgesetzt, um am Markt mithalten zu können – und haben gleichzeitig oftmals nicht die Ressourcen für umfangreiche Produktentwicklungen. Sie können die Ergebnisse unmittelbar für die Einführung von echten Getränkeinnovationen nutzen.
Links: Ein Bioreaktor, in dem Saft im Rahmen der Forschungsarbeiten fermentiert wird. Rechts: Die Gluconsäure-bildenden Bakterien der Spezies Bombella, die für die Untersuchungen eingesetzt werden
TU München