Faire Arbeitswelt: Große Handlungsbedarfe bei Arbeitgebern
Studie legt Diskrepanzen zwischen Fairness-Empfinden von Beschäftigten und organisationalen Gegebenheiten in mehreren personalpolitischen Handlungsfeldern offen
Bild von Malachi Witt auf Pixabay
Fairness - Mehr Wunsch als Wirklichkeit?
Auffällige Diskrepanzen zeigen sich u.a. teilweise bei der Betrachtung der Arbeitsbedingungen. 62 Prozent der Befragten finden es beispielsweise wichtig, dass hier keine Nachteile für Teilzeitkräfte bestehen. Allerdings sagen nur 33 Prozent, dass dies auch in ihrer Organisation der Fall ist. Ähnlich groß zeigt sich die Diskrepanz beim Blick auf die Arbeitsumgebung. Während 86 Prozent der Beschäftigten es wichtig finden, dass diese modern und technisch auf dem neusten Stand ist, geben nur 45 Prozent an, dass sie diesen Zustand in ihrer Organisation vorfinden. Hingegen scheint es bezüglich der personellen Abdeckung von Kernarbeitszeiten ein stimmiges Bild zwischen Erwartungen und Umsetzung zu geben: 76 Prozent der Beschäftigten legen Wert darauf, dass die Kernarbeitszeiten personell - auch im Wechsel der Kolleg*innen - abgedeckt werden. Dies trifft laut Teilnehmende auf 72 Prozent der Organisationen zu.
Die Befragung macht deutlich, wie hoch der Fairnessanspruch an Führungskräfte ist und inwieweit Mitarbeitende diesen erfüllt sehen. So ist es 95 Prozent der Arbeitnehmenden wichtig, von Führungskräften in Entscheidungen, die ihr Aufgabengebiet betreffen, eingebunden zu werden. Hingegen geben nur 57 Prozent an, dass dies in ihrer Organisation auch so stattfindet. Ebenfalls für 95 Prozent der Beschäftigten ist es essenziell, dass die Ziele für ihr Aufgabengebiet klar formuliert sind. Auch hier sind es lediglich 57 Prozent, die meinen, dass diese Klarheit in ihrem Betrieb vorzufinden ist. Fair geht es in den Augen der großen Mehrheit der Beschäftigten - nämlich 93 Prozent - zudem zu, wenn die Arbeit gerecht bewertet wird. Jedoch meinen nur 55 Prozent eine gerechte Bewertung zu bekommen.
52 Prozent der Beschäftigten legen besonderen Wert auf transparente, vollständige und regelmäßige Information zu Organisationsentwicklungen. Lediglich 13 Prozent haben jedoch das Gefühl, diese in ihrer Organisation zu erhalten. Und während es 70 Prozent der Arbeitnehmenden sehr wichtig ist, auf Augenhöhe mit den Vorgesetzten kommunizieren zu können, sehen nur 35 Prozent das in ihrem Betrieb realisiert. Acht von zehn Beschäftigten (81 Prozent) bewerten außerdem eine wertschätzende und respektvolle Kommunikation auf Teamebene bzw. mit Kolleg*innen als sehr wichtig. Aber für nur 45 Prozent wird diese in ihrer Organisation praktiziert.
Fairnessdebatte als Teil der Organisationsentwicklung verstehen
Dr. Brigitte Waffenschmidt, die die Forschungsstudie an der iba leitet, erläutert: "Die Coronakrise hat die Arbeitswelt stark verändert. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen wird so stark hinterfragt wie noch nie. Wie werden Menschen zukünftig miteinander arbeiten? Wo werden sie arbeiten? All diese Fragen haben auch eine enorme Schubkraft auf die Fairnessdebatte innerhalb der Organisationen. Mit dieser Studie wollen wir zum einen die aktuelle Situation in den Organisationen aber auch die Erwartungen der Mitarbeitenden evaluieren, um anschließend Handlungsempfehlungen ableiten zu können."
Silke Güttler, Leiterin Corporate Communications der berufundfamilie Service GmbH, ergänzt: "In der sich aktuell rasant verändernden Arbeitswelt müssen Regelwerke neu ausgestaltet werden: Vorgaben für Präsenzzeiten werden angepasst, Rahmenbedingungen für Home-Office-Tätigkeiten oder mobiles Arbeiten werden aktualisiert oder neu erarbeitet, usw. Diese Veränderungen bringen u.a. Fragen der gerechten Verteilung von Angeboten mit sich - wie z.B. auch Vereinbarkeitslösungen. Eine Neuausrichtung der Arbeitswelt ist somit auch an eine Fairnessdebatte geknüpft. Sie ist sogar ein wichtiger Teil der Organisationsentwicklung. Die ersten Ergebnisse unserer gemeinsamen Untersuchung mit der iba - Internationale Berufsakademie untermauern, dass Arbeitgeber diese mit ihren Beschäftigten intensiv und möglichst zielgerichtet entlang aller personalpolitischen Handlungsfelder führen müssen. Denn das subjektive Fairness-Empfinden ist ein zentraler Entscheidungsfaktor hinsichtlich der Loyalität von Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber und ihrer Motivation im Job."
Die Ergebnisse der Auswertung der Forschungsstudie "Faire Arbeitswelt" - inklusive Korrelationen - werden voraussichtlich im Frühherbst 2022 vorgestellt.
Zur Forschungsstudie
Die Forschungsstudie "Faire Arbeitswelt" ist ein Kooperationsprojekt der iba - Internationale Berufsakademie und der berufundfamilie Service GmbH. Für die Studie wurden die vier Fairnessdimensionen - informationale Fairness, interpersonale Fairness, prozedurale Fairness und distributive Fairness - mit fünf personalpolitischen Handlungsfeldern verknüpft: Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Arbeitsort, Information und Kommunikation sowie Führung. Diese Handlungsfelder zählen zu den acht Bereichen, entlang derer im audit berufundfamilie - dem strategischen Managementinstrument zur Gestaltung einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik - individuelle Ziele und passgenaue Maßnahmen der Organisationen zur besseren Work-Life-Balance entwickelt werden. Aus dem Zusammenspiel der Fairnessdimensionen und der fünf ausgewählten Handlungsfelder wurde ein Fragebogen abgeleitet, mit dessen Hilfe erfasst werden sollte, welchen Fairnessdimensionen besondere Bedeutungen zukommen, in welchen Handlungsfeldern eine Fairnessdebatte gehäuft auftritt, welchen Teilbereichen innerhalb der Handlungsfelder besondere Bedeutungen zukommen und wo Erwartungshaltungen und tatsächliche Gegebenheiten innerhalb der Organisationen besonders weit auseinander liegen. Die Befragung erfolgte online zwischen dem 24.05. und 08.06.2022 und richtete sich an Beschäftigte von Institutionen und Unternehmen, die nach dem audit berufundfamilie zertifiziert sind. Nahezu 1.500 Beschäftigte nahmen teil. 30 Prozent der Teilnehmenden sind in Führungspositionen tätig. 78 Prozent der Befragten arbeiten in einer Institution, 22 Prozent in einem Unternehmen. 74 Prozent gehen einer Vollzeittätigkeit nach. Aus den Erkenntnissen möchten die berufundfamilie Service GmbH und die iba - Internationale Berufsakademie Handlungsempfehlungen für die Gestaltung fairer Arbeitsbedingungen ableiten.