TU Berlin: Mehrheit sieht Lebensmittelindustrie in der Pflicht, sich für biologische Vielfalt einzusetzen
Didgeman / Pixabay
Eine deutliche Mehrheit, nämlich 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, erachten es als wichtig, dass sich Unternehmen der Lebensmittelindustrie für den Erhalt der biologischen Vielfalt engagieren. Und 79 Prozent erwarten, dass die Lebensmittelproduzenten die Kundinnen und Kunden darüber informieren, was sie zum Schutz der Biodiversität unternehmen. Die hohe Relevanz des Themas zeigt sich auch darin, dass ebenfalls einer deutlichen Mehrheit von 91 Prozent der Erhalt der biologischen Vielfalt wichtig ist. 55 Prozent rechnen sogar mit Konsequenzen für das persönliche Leben, dadurch, dass die biologische Vielfalt abnimmt. Doch obwohl der Biodiversität eine große Bedeutung beigemessen wird, wissen nur 17 Prozent, was exakt darunter zu verstehen ist, und es bestehen vielfach Unsicherheiten, wie man selbst zum Erhalt beitragen kann.
Das sind einige der wichtigsten Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung, die im Rahmen des Forschungsvorhabens „BioVal“ am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin im Juni 2022 durchgeführt wurde. Befragt wurden bundesweit 1028 Konsumentinnen und Konsumenten zwischen 18 und 75 Jahren. Ziel des Verbundforschungsprojektes BioVal (Biodiversity Valuing & Valuation) ist es, negative Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf die Biodiversität zu identifizieren und gezielt zu verringern. Die in der Befragung ermittelten Einstellungen bilden eine wichtige Grundlage, Maßnahmen zu entwickeln.
Neuland für Deutschland
„Mit unserer Befragung wollten wir herausfinden, inwieweit es den Verbraucherinnen und Verbrauchern bewusst ist, dass die Lebensmittelproduktion die biologische Vielfalt beeinträchtigt, welche Einstellungen sie zum Erhalt der Biodiversität haben und inwiefern das Thema ihr persönliches Verhalten beeinflusst. Dazu liegen bislang kaum Ergebnisse vor“, berichtet Uta Böhm, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZTG die Umfrage konzipiert hat.
Für den Bereich „Wissen“ wurden Informationsdefizite festgestellt. So ist die korrekte Definition von Biodiversität nur 17 Prozent der Befragten bekannt. 40 Prozent ist nicht oder nur teilweise bewusst, dass Biodiversität für die Lebensmittelproduktion notwendig ist. Insgesamt gaben 84 Prozent an, nicht gut oder nur teilweise über das Thema Biodiversität informiert zu sein. 61 Prozent wünschten sich beim Lebensmittelkauf mehr Informationen über die Auswirkungen von Produkten auf die biologische Vielfalt, vorzugsweise auf der Produktverpackung (87 Prozent).
Bereitschaft, selbst etwas zu tun
Vor allem, um die Auswirkungen des Klimawandels in den Griff zu bekommen, erachten 93 Prozent den Erhalt der biologischen Vielfalt für wichtig. Deshalb schreiben die Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur der Lebensmittelindustrie eine hohe Verantwortung für den Schutz der Biodiversität zu, sondern auch der Politik und der Landwirtschaft.
Der hohe Stellenwert, den die Befragten der Biodiversität beimessen, spiegelt sich auch in einer hohen Bereitschaft wider, durch das eigene Verhalten zum Schutz beizutragen. Nur elf Prozent stimmten der Aussage zu: „Ich möchte mich nicht einschränken, um die biologische Vielfalt zu schützen.“ 71 Prozent würden beim Lebensmittelkauf biodiversitätsgerechtere Produkte bevorzugen und 64 Prozent sind bereit, etwas mehr für biodiversitätsgerechtere Lebensmittel zu zahlen. „Unsere Befragung legt nahe, dass eine hohe Handlungs- und Zahlungsbereitschaft besteht. Ob sich diese Bereitschaft möglicherweise auch im Kaufverhalten niederschlagen würde, werden wir anhand konkreter Produktideen in einer weiteren experimentellen Erhebung untersuchen“, erläutert Uta Böhm.
Angebot biodiversitätsgerechterer Produkte
Aus der hohen Relevanz der Thematik für die Verbraucherinnen und Verbraucher ergibt sich für die Lebensmittelindustrie und den Handel die Notwendigkeit, biodiversitätsgerecht hergestellte Produkte zur Verfügung zu stellen und klare, verständliche Kommunikationswege zu finden, um ihr Engagement für den Biodiversitätsschutz zu belegen, indem zum Beispiel Lieferanten ausgewählt werden, die beim Anbau von Obst und Gemüse auf Pestizide und Düngemittel verzichten oder Blühstreifen anlegen). Nur wenn die Konsumentinnen und Konsumenten diese Produkte einfach im Handel finden können, ist es realistisch, dass sie in der konkreten Einkaufssituation danach greifen. Unternehmen, die sich als Pioniere der Herausforderung stellen, sollten allerdings auch politisch und mit Fördermaßnahmen unterstützt werden. Parallel kann dem bestehenden Wissens- und Informationsdefizit über Umweltbildung für verschiedene Zielgruppen begegnet werden. „Denn eins hat die Befragung auch deutlich gemacht, der Erhalt der Biodiversität wird als Aufgabe empfunden, die nur gemeinschaftlich durch Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger und in weltweiter Kooperation erfolgreich bewältigt werden kann. Neben der Politik wird der Lebensmittelindustrie, dem Lebensmittelhandel und der Landwirtschaft dabei eine wesentliche Rolle zugeschrieben“, resümiert Uta Böhm.
Das Projekt „BioVal“ ist eine Kooperation der TU Berlin, der Universität Witten/Herdecke, der Hochschule Bochum, der Alfred Ritter GmbH & Co.KG, der FRoSTA AG und der Seeberger GmbH. BioVal wird im Rahmen der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) von November 2021 bis Oktober 2024 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.