Ausgewogene Ernährungsrichtlinien? Deutschland schneidet in Vergleichsstudie auffallend schlecht ab

Platz 14 innerhalb der EU, Platz 50 weltweit

23.12.2022 - Deutschland

Eine von der Ernährungsorganisation ProVeg unterstützte Studie hat erstmals 95 staatliche Ernährungsrichtlinien weltweit nach ihrer Ausgewogenheit bewertet.1 Die untersuchten Richtlinien spiegeln die geltenden Empfehlungen in 100 Ländern und subnationalen Regionen wider. Deutschland liegt im Ländervergleich auf Platz 50 – und erhielt eine unterdurchschnittliche Bewertung. Auch unter den 27 EU-Mitgliedsstaaten belegt Deutschland nur Platz 14 und fällt weit hinter den Durchschnitt zurück.

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Studienautorin Anna-Lena Klapp erklärt die Bedeutung des Ergebnisses: „Staatliche Ernährungsrichtlinien beeinflussen maßgeblich, was wir essen, was wir über gesunde Ernährung wissen und welche Art von Ernährung wir unseren Kindern für den Rest ihres Lebens beibringen.“ Denn Ernährungsrichtlinien wirken sich insbesondere in der Gemeinschaftsverpflegung und in der Aufklärung über Ernährung durch Fachpersonal aus.

Als ausgewogen gelten den Autoren Richtlinien, die das breite Spektrum der pflanzlichen Ernährungsformen abdecken und pflanzliche Alternativen zu Milch, Milchprodukten und Fleisch benennen. Dabei stützen sie sich auf Leitprinzipien der Welternährungsorganisation (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO).2

Wirtschaftsfaktor Fleisch geht einher mit geringer Ausgewogenheit

Die Studie, die in der Fachzeitschrift Current Developments in Nutrition erschienen ist, fußt auf dem Balanced-Food-Choice-Index (BFCI). Der BFCI misst anhand von zehn Indikatoren und 17 Variablen das Ausmaß, in dem nationale Ernährungsrichtlinien eine nachhaltige und gesunde Lebensmittelwahl fördern – mit oder ohne tierische Produkte.

Dabei zeigte sich, dass 40 Prozent der weltweiten Ernährungsrichtlinien zu vegetarisch-veganen Ernährungsweisen Position beziehen und 45 Prozent pflanzliche Alternativen zu Fleisch und Milch nennen. Die Forschenden konnten außerdem nachweisen, dass der Index positiv mit den Umweltschutzbemühungen der Länder korreliert und negativ mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Fleischindustrie im jeweiligen Land.

Die Niederlande an der Weltspitze, Deutschland unterhalb des Durchschnitts

Die Niederlande, Australien und die Schweiz führen in der Studie das Ranking an. So bekennt sich die niederländische Ernährungsrichtlinie beispielsweise klar zu nachhaltigen, gesunden Lebensmitteln und stellt der Bevölkerung konkrete Informationen bereit, die auch das breite Spektrum pflanzlicher Ernährungsformen abdecken.

Deutschland liegt hingegen weit dahinter zwischen Bolivien und Bulgarien. Die Ernährungsrichtlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) präsentiert sowohl Fleisch als auch Milch als eigenständige Lebensmittelgruppen, die den Bedarf an Proteinen, Eisen oder Kalzium decken sollen. Die DGE erwähnt in diesen Gruppen jedoch keine adäquaten Alternativen, wie Hülsenfrüchte oder kalziumreiches Mineralwasser, mit denen die Bevölkerung die Nährstoffe auch pflanzlich decken kann. Verbraucher erhalten auch keine Information über pflanzliche Milch- und Fleischalternativen.

Widerspruch von Politik und Praxis

Das deutsche Ergebnis ist insofern überraschend, als das Interesse an Alternativprodukten in Deutschland kontinuierlich wächst und andere Länderrichtlinien bereits über pflanzliche Alternativen informieren. Auch weisen immer mehr europäische Länder auf die Vorteile vegetarischer und veganer Ernährungsweisen für die Gesundheit und das Klima hin, darunter Norwegen und Finnland. Die deutsche Richtlinie betont dagegen die Risiken und rät insbesondere von einer veganen Ernährung ab.

Dies steht in klarem Widerspruch dazu, dass der Fleisch- und Milchkonsum in Deutschland offiziellen Zahlen zufolge kontinuierlich sinkt.3 4 In diesem Jahr erreichte der Fleischkonsum gar einen historischen Tiefstand. Rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland versteht sich als Flexitarier und reduziert den Konsum tierischer Produkte.5

Deutschland hat großes Aufholpotenzial

Der BFCI bietet Regierungen hilfreiche Orientierung für ihre Ernährungs- und Klimapolitik. So können die Regierungen fortschrittliche Beispiele anderer Länder auf einen Blick erkennen. Wie dringlich dies ist, zeigt die durchschnittliche Punktzahl aller untersuchten Ernährungsrichtlinien von weniger als 34 von 100 Punkten.

So bieten die meisten Länder ihren Bürgern bislang keine Informationen über eine gut geplante vegan-vegetarische Ernährung. 47 von 100 Ländern haben der Studie zufolge eine reine Lebensmittelgruppe mit tierischem Fleisch, die auch Eier enthalten kann. Dies suggeriert, dass Fleisch ein wesentlicher und unersetzlicher Bestandteil einer gesunden Ernährung wäre.

Deutschland erhielt nur 32 von 100 Punkten und lag damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von rund 43 Punkten und sogar noch unter dem globalen Durchschnitt. Die Studie offenbart demnach ein erhebliches Informationsdefizit der deutschen Ernährungsrichtlinie. Für Länder wie Deutschland besteht somit viel Raum für Verbesserungen in den kommenden Jahren.

Quellen

1 Klapp, A.-L., Feil N., Risius A. (2022): A Global Analysis of National Dietary Guidelines on Plant-Based Diets and Substitutions for Animal-Based Foods, in: Current Developments in Nutrition, Volume 6, Issue 11, November 2022, nzac144. Online unter: https://doi.org/10.1093/cdn/nzac144

2 Food and Agriculture Organization of the United Nations & World Health Organization (2019): Sustainable healthy diets: Guiding principles. Online unter: https://www.fao.org/3/ca6640en/ca6640en.pdf 

3 Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Versorgungsbilanz Fleisch 2021: Pro-Kopf-Verzehr sinkt auf 55 Kilogramm. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220330_Versorgungsbilanz-Fleisch.htm

4 Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Milchmarkt 2021: Pro-Kopf-Verbrauch von Milch sinkt auf 47,8 Kilogramm. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220502_Milchmarkt_2021.html

5 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2021): Deutschland, wie es isst – Der BMEL-Ernährungsreport 2021. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ernaehrungsreport-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3

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