Endlich lecker: Neue Proteine sollen glutenfreie Backwaren revolutionieren
In naher Zukunft könnte Brot auch aus dem 3-D-Drucker kommen
Universität Hohenheim / Oliver Reuther
Bei rund 2 bis 3% der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein
Das Backexperiment von Feller vereint vieles: Lebensmitteltechnologie mit Materialwissenschaften und Ingenieurswissenschaften. Die besondere Herausforderung bei diesem Experiment ist die Rezeptur: Der Teig ist komplett glutenfrei und soll trotzdem locker-luftige und wohlschmeckende Backwaren produzieren.
Der Grund: bei zwei bis drei Prozent der Bevölkerung erweist sich Gluten als Problem-Protein: „Wir kennen inzwischen drei Krankheitsbilder, die mit Gluten zusammenhängen“, berichtet Prof. Dr. med. Stephan Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim.
Die bekannteste sei die Zöliakie, eine Mischung aus Allergie und Autoimmunerkrankung. Ähnlich weit verbreitet sei die Weizenallergie, die durch Gluten und ähnliche Peptide ausgelöst werde. Hinzu käme als drittes Krankheitsbild noch die Weizensensitivität, die bislang noch am wenigsten erforscht sei. „Noch ist nicht klar, durch was die Weizensensitivität genau auslöst wird und ob Gluten auch in diesem Fall eine Rolle spielt. An unserem Fachgebiet beschäftigen wir uns deshalb intensiv mit diesem Rätsel.“
Vor allem Patient:innen, die an Zöliakie leiden, bleibt im Alltag nur eine Abhilfe: auf glutenfreie Lebensmittel zurückzugreifen.
Bei klassischen Backwaren dient Gluten als Stützgerüst
Chemisch-physikalisch ist Gluten dagegen ein höchst spannendes Protein, findet Prof. Dr. Mario Jekle, der Leiter des Fachgebietes Pflanzliche Lebensmittel. „Gluten ist nicht nur eines der größten bekannten Proteine auf der Welt. Beim Backen hat es herausragende Eigenschaften“, so der Lebensmittelwissenschaftler.
Tatsächlich könne man sich einen voll gegärten Teig als eine Art Schaum vorstellen, der beim Backen erstarrt. Das Protein Gluten verleiht diesem Schaum Struktur und stützt ihn, damit er nicht vorzeitig zusammenfällt.
Genau daran hapert es bei vielen glutenfreien Backwaren: Die Zutaten „aufzuschäumen“ sei kein Problem. Das gelänge durch Rühren oder Hefe, Backpulver und andere Triebmittel genauso wie beim klassischen Weizenmehlteig. „Was bislang kaum gelingt, ist, die vielen kleinen Gasbläschen ohne das stützende Gluten-Gerüst im Teig zu halten.“
Abhilfe sollen Protein-Ketten aus Natur-Proteinen schaffen
Mit ihrer aktuellen Forschung schlagen die Lebensmittelforscher:innen der Universität Hohenheim deshalb einen neuen Weg ein: „Statt den Teig mit Gluten zu stützen, konzentrieren wir uns darauf, die Grenzfläche zwischen Gasbläschen und Teig mit alternativen Proteinen zu stabilisieren“, so Prof. Dr. Jekle.
Dazu verwenden die Wissenschaftler:innen um den Lebensmittelwissenschaftler neue, maßgeschneiderte Proteine. Die Ausgangsstoffe bilden Natur-Proteine aus Erbsen oder Raps, aus denen der Lebensmittelwissenschaftler die optimalen Proteine extrahiert.
Unterstützt werden die neuen Protein-Alternativen durch natürliche Saponine. Gewonnen werden diese aus Quinoa-Samen – oder aus Stängeln, Blättern und Blüten von Gänseblümchen.
Weiteres Potential sieht Prof. Dr. Jekle in der Pflanzenzucht: „Wenn wir die Anforderungen genau definieren, können wir zusammen mit den Pflanzenzüchtern zielgerichtet neue Erbsensorten züchten, deren Proteine sich noch besser für unseren Ansatz eignen.“
Weiterer Ansatz beschert zusätzliche Ballaststoffe
In einem anderen Ansatz versucht das Fachgebiet natürliche Proteine aus Reis, Mais oder Hafer mit Schleimstoffen zu verketten, sogenannte Arabinoxylane. Diese Schleimstoffe befinden sich in fast allen Getreideschalen, die auch als Kleie oder Viehfutter verwendet werden.
Es ist ein Ansatz mit Zusatznutzen, denn so reichert die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Jekle die Backwaren mit wertvollen Ballaststoffen an. Deren Bedeutung unterstreicht auch Ernährungsmediziner Prof. Dr. Bischoff von der Universität Hohenheim. „Um ein Beispiel zu nennen: 30 Gramm Ballaststoffe am Tag sind bereits eine gute Vorbeugung gegen Dickdarmkrebs, eine der drei häufigsten Krebsarten bei Männern und Frauen.“
Die Lebensmittlwissenschaftler:innen der Universität Hohenheim planen deshalb, den Einsatz von Arabinoxylanen auch in anderen Lebensmitteln zu erforschen – etwa in Fleischersatzprodukten. Das Spannende daran: Der Ansatz ermöglicht nicht nur Ersatzprodukte mit einer fleischähnlichen Struktur, die Ballaststoffen bescherten ihnen auch noch einen ziemlich einmaligen Zusatznutzen. Bislang gäbe es noch keine vergleichbaren Produkte auf dem Markt.
In naher Zukunft könnte Brot auch aus dem 3-D-Drucker kommen
Eine weitere Vision ist, das Auflockern des Teigs und den Backvorgang gleich in einem Arbeitsschritt vorzunehmen – mit Hilfe von 3-D-Druckern. Dabei baut eine Düse das Gebäck zusammen mit den Poren in Millimeter-dünnen Schichten auf. Darüber ist eine Backeinheit platziert, die jede Schicht sofort verfestigt.
Das Verfahren ähnelt damit ein bisschen der Art und Weise, wie Salzwedeler Bäcker seit 200 Jahren die klassischen Baumkuchen backen. Auch hier wird der Teig in millimeter-dünnen Schichten aufgetragen und klassisch am offenen Feuer fixiert. „Allerdings ist unsere Technik an der Universität Hohenheim natürlich weitaus feiner, flexibler und kann viele verschiedene Strukturen aufbauen“, betont Prof. Dr. Jekle.
Für ihn ist der 3D-Drucker fast schon ein Standardgerät, mit dem er seit einigen Jahren experimentiert. Egal ob es sich um Backwaren, Fleisch, Fleischersatz oder Beilagen handelt – prinzipiell ließe sich nahezu jedes Lebensmittel auch aus den einzelnen Komponenten im 3D-Drucker produzieren, so seine Überzeugung.
Als Ergänzung zur klassischen Küche bringe der 3D-Lebensmitteldrucker noch zwei weitere Vorteile mit: „Bei den gedruckten Lebensmitteln kann ich Mahlzeiten personalisieren, d.h., das Verhältnis von Fetten, Kohlehydraten, Proteinen und allen anderen Bestandteilen genau auf die individuellen Bedürfnisse einzelner Menschen ausrichten. Und ich kann die Rohstoffe zum Teil auch aus Reststoffen gewinnen, die zum Beispiel bei der Lebensmittelproduktion anfallen.“