Warum nachhaltiger Konsum so schwerfällt
Es reicht nicht, auf die Disziplin der Einzelnen zu hoffen
Viele Menschen wollen wichtige längerfristige Ziele verwirklichen – sich gesünder ernähren, mit dem Rauchen aufhören oder sich einen nachhaltigeren Lebensstil aneignen – doch oft fällt das schwer. Alles nur mangelnde Selbstdisziplin? Nein, meint Sozialpsychologe Prof. Dr. Wilhelm Hofmann von der Ruhr-Universität Bochum. Für einen Übersichtsartikel in „Nature Reviews Psychology“ hat Hofmann zahlreiche Forschungsarbeiten analysiert und stellt heraus, wie stark physische und soziale Umwelt das Verhalten des Einzelnen beeinflussen. Er kritisiert, dass viele psychologische Arbeiten trotzdem dazu tendieren, das Individuum in den Fokus zu nehmen und somit wichtige strukturelle Faktoren übersehen. Der Artikel ist am 20. November 2023 online erschienen.
Massiver Einfluss der Umwelt auf Entscheidungen
Traditionelle Ansätze wie die Selbstbestimmungstheorie legen den Fokus auf die persönliche Autonomie. Das heißt, die Entscheidungsfreiheit der Person muss unbedingt gewahrt bleiben. „Die Public-Policy-Empfehlungen, die sich daraus ergeben, lauten: keine Einschränkungen machen, ausreichend über bekannte Risiken und Nebenwirkungen der verschiedenen Optionen aufklären und dann darauf vertrauen, dass sich die Leute schon richtig entscheiden und verhalten werden“, so Hofmann. Doch dieses Rezept funktioniere nicht.
Zur Verdeutlichung nennt der Bochumer Psychologe als Beispiel eine umweltbewusste Person, die ihren Fleischkonsum reduzieren möchte, sich aber mitunter auch von Fleisch angezogen fühlt. „Die traditionelle Psychologie sieht darin einen Konflikt in der Person“, verdeutlicht er. Die Person müsse nur genug Willensstärke aufbringen, dann könne sie ihr langfristiges Ziel erreichen. Diese Sicht ist laut Hofmann verkürzt, weil Entscheidungen stark von der Umwelt beeinflusst werden – zum Beispiel, wenn es in der Kantine fünf Fleischgerichte, aber nur eine vegetarische Option gibt, die im schlimmsten Fall auch noch teurer ist. Menschen wollen sich zudem konform mit sozialen Normen verhalten: Wenn viele Freunde und Verwandte ein großes Auto fahren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst auch eins haben möchte.
Es reicht nicht, auf die Disziplin der Einzelnen zu hoffen
In seinem Artikel bringt Hofmann psychologische Forschung mit Public-Policy-Forschung zusammen, um aufzuzeigen, dass die Psychologie Implikationen für andere Ebenen hat und den Blick weiten sollte. Insbesondere die Tatsache, dass Menschen viele Umwelten nicht selbst gestalten, müsse stärker beachtet werden.
„Viele Leute bemühen sich, nachhaltiger zu leben, aber scheitern an der Realität“, sagt Wilhelm Hofmann. So seien nicht-nachhaltige Optionen häufig billiger, sichtbarer und verfügbarer als nachhaltige. „Auf die Disziplin, Opferbereitschaft und Schuldgefühle der Einzelnen zu hoffen, hilft hier nicht. Wir müssen diejenigen Strukturen hinterfragen und verändern, die gesellschaftliche Probleme wie die Übernutzung natürlicher Ressourcen mitbedingen und nachhaltiges Verhalten erschweren. Und dafür brauchen wir gute und starke Entscheidungen der Politik.“ Viele Menschen würden sich durchaus mehr Regulierung wünschen, um nicht mehr gegen den Strom schwimmen zu müssen. Das steigende Problembewusstsein, verbunden mit der Einsicht, dass sich manche gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen eben nicht über persönliche Verantwortung oder freie Märkte lösen lassen, befördere den Wunsch nach staatlichen Eingriffen und Lösungen. Im Kern geht es also darum, dass sich die Gesellschaft auf gute Regeln verständigen muss, um die Individuen auf dem Weg zur erwünschten Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit möglichst gut zu unterstützen.
Mehr Fokus auf das Gemeinwohl
„Die rasch fortschreitende Klimakrise ist das beste Beispiel dafür, wie die unbegrenzte Ausübung persönlicher Konsumfreiheiten zu negativen Konsequenzen für die Gesellschaft als Ganzes führt“, beschreibt Wilhelm Hofmann. „Wir haben ein Stück weit verlernt, auf den kollektiven Nutzen, also das Gemeinwohl zu schauen, und müssen die Bedeutung guter Regulierung wieder erkennen. Damit meine ich, dass wir uns auf gute und faire Regeln einigen, die uns vor Risiken schützen und dafür aber auch für alle gelten. Im Straßenverkehr beispielsweise ist das selbstverständlich.“
Dabei sieht der Psychologe aber auch das Individuum in der Pflicht. „Jeder Mensch kann natürlich im Kleinen anfangen und seine Umwelt mitgestalten, wo immer das möglich ist. Und dort, wo die eigene Gestaltungsmacht aufhört, kann man sich als Bürger, Mitarbeiter oder Kunde dafür einsetzen, dass sich Personen mit Entscheidungsmacht der Sache annehmen. Wir haben immer Einflussmöglichkeiten“, betont er.