Mehr essen, weniger shoppen: Deutschlands Innenstädte verändern sich
Deutschlands Innenstädte sind im Umbruch.
Tatsächlich sehen sich die Einkaufsstraßen zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirchen mit der größten Herausforderung seit Jahrzehnten konfrontiert. Die Verbraucher erledigen einen immer größeren Teil ihrer Einkäufe im Internet. Immer weniger Konsumenten finden deshalb noch den Weg in die Innenstädte.
Die Folge: Immer mehr klassische Modehändler müssen ihre Tore schließen. Und wenn die Räume neu vermietet werden, zieht immer öfter ein Gastronomiebetrieb in die verwaisten Räume. "Bei den Neuvermietungen in den Innenstädten liegt der Anteil der Gastronomie inzwischen bei über 20 Prozent, das ist mehr als doppelt so viel wie noch vor einigen Jahren", berichtet Dirk Wichner vom Immobilien-Berater JLL. Vor allem Restaurantketten wie Vapiano <DE000A0WMNK9>, Alex, Extrablatt oder Hans im Glück seien auf dem Vormarsch.
Der "Immobilien Zeitung" war das Comeback der Gastronomie in den Innenstädten bereits eine lange Geschichte wert. Ihr Titel: "Das große Fressen". Die Kernbotschaft: "Lange wurden Gaststätten und Cafés aus den Innenstädten verdrängt, jetzt kehrt die Gastronomie zurück." Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kommt in einem Branchenbericht zum Ergebnis: "Großstädte ohne Kaffeebars sind kaum mehr vorstellbar."
Dabei ist der Siegeszug des Online-Handels nach Einschätzung von Wichner nicht der einzige Grund für die Entwicklung. Im öffentlichen Bewusstsein gewinne Essen generell an Wichtigkeit, die Bedeutung der Mode dagegen schwinde. "Bei Facebook <US30303M1027> wird inzwischen ein Foto vom Essen gepostet, nicht von der neuen Jacke", beschreibt er den Wandel.
Für den Immobilen-Experten ist die Entwicklung nicht negativ.
"Der Verbraucher holt sich seine Innenstädte zurück", meint er. Die vergangenen Jahrzehnte seien eine Art Kaufrausch-Zeitalter gewesen, in dem der Konsum die Innenstädte dominiert habe. "Dessen sind die Menschen überdrüssig. Jetzt kommt der Erlebnischarakter dazu."
Wichner erwartet auch ein Revival der Innenstadt-Kinos. Denn die Mieten würden so weit sinken, dass es für die Filmtheater dort wieder Raum gebe. Außerdem werde es in Zukunft in der City auch wieder mehr Waren des täglichen Bedarfs geben. Die großen Lebensmittelhändler drängten bereits massiv in die Innenstädte.
Auch für Boris Hedde steht fest: Der Handel wird zwar weiter eine große Rolle in den Innenstädten spielen, aber er wird nicht mehr die Monopolstellung haben wie in der Vergangenheit. Besuchermagneten würden in Zukunft oft andere Spieler sein: "Die Gastronomie und alles, was mit Freizeit zu tun hat".
Doch wird der Umbruch wohl auch Opfer fordern. Nicht jede Innenstadt wird den Wandel vom Einkaufszentrum zum Erlebnisraum schaffen. Gute Zukunftsaussichten haben nach Einschätzung von Experten Metropolen wie Hamburg, München oder Düsseldorf, aber auch kleinere Städte mit Charakter wie Freiburg, Münster und sogar das winzige, aber für seine gut 2000 Fachwerkhäuser berühmte Quedlinburg in Sachsen-Anhalt.
"Nicht nur die Größe der Stadt entscheidet über die Zukunftsperspektiven, sondern vor allem die Aufenthaltsqualität", meint Wichner. Münster habe da zurzeit bessere Karten als etwa die eher unwirtliche Friedrichstraße in Berlin./rea/DP/zb (dpa)
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