Ein Dogma fällt – Nahrung löst Immunantwort im Darm aus

14.05.2019 - Deutschland

Das muss die Fachwelt erst einmal verdauen: Unsere Nahrung löst im Dünndarm eine Immunantwort aus, die dadurch in Schach gehalten wird, dass die beteiligten Immunzellen absterben. Das hat ein Forschungsteam um den Marburger Immunologen Professor Dr. Ulrich Steinhoff herausgefunden. Bisher galt es unter Fachleuten als ausgemacht, dass die Nahrung keine Immunantwort im Darm auslösen darf. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse im Fachblatt „Journal of Clinical Investigation“.

Dr. Guido Hegasy, www.hegasy.de

Der Abfluss muss stimmen: Befindet sich der Darm im Gleichgewicht (Bild links), so werden ebenso viele neue Immunzellen durch die Nahrung aktiviert, wie durch programmierten Zelltod absterben; ist die Apoptose der Immunzellen hingegen gehemmt (Bild rechts), so gerät das System aus der Balance und es kommt zu Entzündungen.

Das Immunsystem bekämpft Krankheitserreger und Fremdkörper, die in den Organismus eindringen. Aber wie steht es um die Proteine, die als Nahrung in den Darm gelangen? „Bisher galt es als medizinisches Lehrbuchwissen, dass die Proteine in der Nahrung keine Immunreaktionen hervorrufen dürfen“, erklärt Ulrich Steinhoff von der Philipps-Universität, der Leitautor der aktuellen Veröffentlichung – „sonst herrsche Chaos“.

Dieses Dogma hält einer kritischen Prüfung indes nicht stand, fanden Steinhoff und seine Koautoren aus Marburg, Berlin, Mainz, Aachen und Göteborg heraus. Sie verfolgten das Schicksal von T-Zellen in den Peyer-Plaques, das sind lymphknotenartige Strukturen im Dünndarm, die Ansammlungen von Immunzellen enthalten. „Die Peyer-Plaques sind diejenigen Orte im Verdauungstrakt, an denen Immunantworten initiiert werden“, erläutert Erstautor Dr. Alexander Visekruna, der zu Steinhoffs Team am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Philipps-Universität zählt.

T-Zellen gehören zu den wichtigsten Akteuren der Abwehr; bei ihnen handelt es sich um weiße Blutzellen, die körperfremde Proteine erkennen. Wie die Forscher zeigen, produzieren die T-Zellen in den Peyer-Plaques Moleküle, wie sie für eine Immunreaktion typisch sind. Nach einer gewissen Zeit unterlaufen die Zellen ein Programm, das dazu führt, dass sie absterben – die Fachleute sprechen von programmiertem Zelltod oder Apoptose. „Im Darm stellt sich ein Fließgleichgewicht wie bei einem Dorfbrunnen ein“, legt Steinhoff dar – „es werden dauernd neue Immunzellen durch die Nahrung aktiviert und genauso viele durchlaufen den programmierten Zelltod und sterben ab.“

Der Immunblocker PD-1 ist dafür verantwortlich, die T-Zellen zur Apoptose zu veranlassen. Hemmt man die Aktivität von PD-1, so führt dies zu Darmentzündungen, weil die Immunzellen nicht absterben. „Das erklärt auch, warum Darmentzündungen häufig bei Patienten mit Melanomen auftreten, bei denen PD-1 durch Antikörper ausgeschaltet wird“, sagt Steinhoff.

Um eingehender zu testen, welche Bedeutung der Immunreaktion des Darms zukommt, stellten die Wissenschaftler Experimente mit der Nahrung von Mäusen an. Erhalten die Tiere eine Protein-freie Diät, die alle wichtigen Nährstoffe enthält, so verkümmert der Dünndarm – offenbar braucht der Organismus Proteine, die das Immunsystem erkennen kann. Im Einklang mit diesen Befunden zeigte sich bei Patienten mit der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn, dass sie in den Peyer-Plaques eine stark verringerte Anzahl von Immunzellen aufweisen, die Apoptose erleiden. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der programmierte Zelltod von nahrungsaktivierten Immunzellen das Markenzeichen eines gesunden Darms ist“, fasst Steinhoff zusammen.

Professor Dr. Ulrich Steinhoff leitet die Forschung des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Philipps-Universität Marburg. Neben zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Philipps-Universität beteiligten sich die Universität Mainz, die RWTH Aachen, das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie sowie das Universitätsklinikum Charité in Berlin und die Universität Göteborg an der Forschung, die der Publikation zugrunde liegt. Das Bundesforschungsministerium, die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die „Von Behring-Röntgen-Stiftung“ förderten die wissenschaftliche Arbeit finanziell.

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