Verbraucherschützer: Nutri-Score nicht nur für 'Paradebeispiele'
Es sei zu begrüßen, dass einzelne Hersteller und Supermarktketten bereits mit gutem Beispiel vorangehen, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der Deutschen Presse-Agentur. Es wäre aber nicht im Sinne des Erfinders, wenn vor allem Produkte mit günstiger Ernährungsbilanz gekennzeichnet würden. "Ich muss schon wissen, wo ist zu viel Salz, zu viel Fett, zu viel Zucker drin - und nicht nur, was die Paradebeispiele sind."
Müller rief Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) auf, sich in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 für eine europaweit verbindliche Kennzeichnung stark zu machen. Nur dann könnten sich Verbraucher wirklich umfassend informieren und es wäre ein wirkungsvoller Beitrag, dass sich Produkt-Rezepturen verändern. "Wir wollen niemandem seine Tiefkühlpizza madig machen.
Aber eine Tiefkühlpizza kann mehr oder weniger Fett und Salz beinhalten."
Klöckner hatte sich nach langem Streit über eine klarere Kennzeichnung auf Nutri-Score festgelegt - und eine Verordnung auf den Weg gebracht, die den Rechtsrahmen für eine freiwillige Nutzung in Deutschland schaffen soll. Voraussichtlich noch im Januar soll sie zur Genehmigung nach Brüssel geschickt werden. In Kraft treten könnte sie dann frühestens im zweiten Halbjahr 2020, wie es vom Ministerium heißt. Klöckner spricht auch schon auf EU-Ebene über das Thema.
Das aus Frankreich stammende Nutri-Score-System bezieht neben dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz auch empfehlenswerte Bestandteile wie Proteine oder Ballaststoffe in eine Gesamtbewertung ein und gibt dann einen einzigen Wert an - auf einer fünfstufigen Skala von "A" auf dunkelgrünem Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes "C" bis zu einem roten "E" für die ungünstigste. Das zutreffende Feld wird hervorgehoben. Das Logo auf der Vorderseite der Packung soll die EU-weit verpflichtende Nährwerttabelle ergänzen, die meist klein gedruckt auf der Rückseite oder noch versteckteren Stellen der Packung steht.
Erste Produkte mit Nutri-Score sind schon in Supermärkten zu kaufen. Mehrere große Hersteller befürworten das Logo. Einige Handelsketten haben angekündigt, es zumindest für Teile ihrer Eigenmarken einführen zu wollen. In der Branche gibt es aber unterschiedliche Positionen.
Der Lebensmittelverband Deutschland als Spitzenorganisation forderte, für eine erfolgreiche Einführung müssten zum Wohl und zum Schutz von Kunden und Unternehmen "Widersprüche" aufgelöst werden. So lägen derzeit alle Rechte bei der französischen Gesundheitsbehörde.
Um sämtliche Ernährungsgewohnheiten in Europa abzubilden, sollte die Hoheit an eine übergeordnete europäische Institution gehen. Nötig seien auch Änderungen bei den Berechnungsgrundlagen. So sollte der günstige Obst- und Gemüseanteil des Nutri-Score nicht nur Raps-, Oliven-, und Walnussöl umfassen, sondern mehr empfohlene Pflanzenöle.
Hierfür berücksichtigt werden sollten außerdem auch Kartoffeln.
Verbraucherschützer Müller nannte den Vorstoß ein "relativ billiges Ablenkungsmanöver" und verwies auf die Vorteile des einheitlichen EU-Binnenmarkts. Wenn es unterschiedliche französische, deutsche oder dänische Nutri-Score-Kennzeichnungen gäbe, wäre dies eine Verwirrung für die Verbraucher - und teuer für Lebensmittelhersteller. "Eine solch dämliche Nebelkerze habe ich selten erlebt." Es sei gut, dass die Franzosen als Erfinder gesagt hätten, bei einer EU-Einführung würden auch Algorithmus und Herleitung europäisch entschieden.
Das Ministerium erläuterte, nach einer entsprechenden Beurteilung des bundeseigenen Max-Rubner-Forschungsinstituts sehe es derzeit keinen "akuten Optimierungsbedarf" bei der Berechnungsmethode.
Begründete und sinnvolle Anpassungen seien aber auch nicht ausgeschlossen. In einem Begleitgremium von Staaten mit Interesse am Nutri-Score, das über Vorschläge berät, sollen künftig auch deutsche Wissenschaftler mitmachen. Mögliche Änderungen der Berechnungsmethode dürften aber das Gesamtkonzept des Nutri-Scores nicht gefährden - aus politischen oder wirtschaftlichen Erwägungen seien sie damit ausgeschlossen./sam/DP/fba (dpa)