Noroviren trotzen vielen Widerständen: Sie überstehen Tiefkühltemperaturen von bis zu
-150 °C und auch längere Backprozesse bei 200 °C. Auch außerhalb ihres Wirtes können sie länger als eine Woche überdauern. Die weltweit vorkommenden Erreger sind für die Mehrzahl der nicht bakteriell verursachten Magen-Darm-Infekte beim Menschen verantwortlich. Schätzungen zufolge sind zwischen 20 und 40 % aller Norovirus-Erkrankungen auf kontaminierte Lebensmittel, vor allem unverarbeitetes oder tiefgekühltes Obst und Gemüse, zurückzuführen. Im Jahr 2018 wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) 77.583 Norovirus-Erkrankungen übermittelt; 25 davon verliefen tödlich (nur laborbestätigte Erkrankungen; tatsächliche Fallzahlen werden deutlich höher geschätzt; Quelle: Infektionsepidemiologisches Jahrbuch für 2018 des RKI).
Viele Fragen bezüglich der Kontaminationsquellen, der Nachweisverfahren und der Präventionsmaßnahmen sind noch offen; eine vordringliche darunter ist: Wie können Unternehmen, die Obst und Gemüse produzieren und verarbeiten, gezielt Noroviren auf ihren Produkten inaktivieren?
An einer innovativen Möglichkeit zur Dekontamination von Lebensmitteln hat ein Forschungsteam von Prof. Dr. Barbara Becker an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in Lemgo geforscht: Im Rahmen eines Projektes der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF), das über den Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) koordiniert wurde, untersuchte das Team, ob und inwieweit Noroviren auf kontaminiertem Obst und Gemüse durch kaltvernebeltes Wasserstoffperoxid (H2O2) inaktiviert werden können. Ein besonderer Vorteil des antimikrobiell wirkenden Mittels, das bereits zur Entkeimung von Oberflächen, zur Desinfektion von Verpackungen und in Waschbädern verwendet wird, ist, dass es schnell in Wasser und Sauerstoff zerfällt. Bei dessen Kaltvernebelung wird eine H2O2-Lösung bei Raumtemperatur mittels Druck über spezielle Düsen in sehr feine Dämpfe (Mikroaerosole) überführt, ohne dass Kondensat entsteht.
„Um herauszufinden, ob wir Noroviren auf Obst und Gemüse zuverlässig mit kaltvernebeltem Wasserstoffperoxid inaktivieren können, haben wir zwei verschiedene Vernebelungsanlagen verwendet, in denen wir Äpfel, Heidelbeeren, Gurken, Erdbeeren und Himbeeren, also Produkte mit unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten, behandelt haben, die zuvor mit murinem Norovirus (MNV) als Modellvirus kontaminiert worden waren“, erklärt Prof. Barbara Becker. „Wir konnten zeigen, dass die Kaltvernebelung von Wasserstoffperoxid sehr gut geeignet ist, um Noroviren auf Obst und Gemüse mit glatten Oberflächen zuverlässig zu inaktivieren“, so die Lebensmittelmikrobiologin. Veränderungen der Sensorik und der Nährstoffgehalte durch die Behandlung konnten nicht festgestellt werden, auch wurden keine Rückstände von Wasserstoffperoxid auf den behandelten Produkten nachgewiesen.
Das Team um Prof. Barbara Becker konnte mit seinen Untersuchungen erstmalig die hohe Wirksamkeit der H2O2-Kaltvernebelung nachweisen: Von dem innovativen Verfahren werden somit viele Obst- und Gemüseproduzenten, Händler und verarbeitende Betriebe – auch in der Gastronomie – profitieren können. Bevor sich das Verfahren breitflächig einsetzen lässt, müssen jedoch noch höhere Inaktivierungsraten auch auf Produkten mit rauer Oberfläche erzielt werden. So soll im Rahmen eines Folgeprojektes in Kooperation mit der Universität Leipzig untersucht werden, ob durch eine kombinierte Anwendung ausgewählter chemischer und physikalischer Verfahren Noroviren auf Beerenobst zuverlässig inaktiviert werden können. Ein Projekt, für den ein hoher Bedarf besteht: Allein 2017 wurden in Deutschland über 151.000 Tonnen Erdbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren produziert und verarbeitet sowie 137.000 Tonnen aus weltweiter Erzeugung importiert.
Mit Noroviren kontaminierte Äpfel, Gurken sowie Heidel- und Erdbeeren in einer Versuchsanordnung auf Multiwell-Platten.
Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe