Containern erlauben?
Rechtlich gar nicht so einfach
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Rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll. Wer jedoch in Supermarkt-Mülltonnen nach weggeworfener Ware wühlt, riskiert eine Verurteilung wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs. «Diese Rechtspraxis ist skandalös», meint die Linksfraktion im Bundestag. Sie will das Containern erlauben und fordert einen Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Denn schließlich fehle Betroffenen einfach oft das Geld für Nahrungsmittel oder sie wollten nachhaltig leben, meinen die Linken. «Diesen Motiven mit dem «scharfen Schwert des Strafrechts» als letztes Mittel staatlichen Zwanges zu begegnen, ist ungerecht und unnötig.» An diesem Donnerstag soll sich der Rechtsausschuss im Bundestag erstmals ausführlich mit der Forderung befassen.
Was einleuchtend klingt, ist juristisch allerdings verzwickt, wie Stellungnahmen mehrerer geladener Sachverständiger zeigen. Ein Knackpunkt der Debatte ist die Frage, ob Supermärkte wirklich das Eigentum an Lebensmitteln aufgeben, die sie wegwerfen. «Dem bisherigen Eigentümer muss es egal sein, was mit der Sache passiert», schreibt die Oberstaatsanwältin Nicole Luther aus Tübingen in ihrer Stellungnahme. «Dies dürfte bei Lebensmitteln, die ein Supermarktbetreiber entsorgen will, gerade nicht der Fall sein.» Wenn die einfach jeder mitnehmen könne, drohten möglicherweise Haftungsansprüche, falls jemand gesundheitlich bedenkliche Lebensmittel esse.
Anja Schiemann von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster argumentiert, die Erlaubnis zum «Containern» sei wenig sinnvoll. Denn meist komme ja noch Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch hinzu. Ausnahmeregelungen würden das Strafrecht nur verkomplizieren.
«Rechtlich und praktisch nicht sinnvoll» seien die Pläne, meint Thomas Fischer, früherer Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof. Eigentum sei laut Bürgerlichem Gesetzbuch das Recht, mit einer Sache «nach Belieben zu verfahren», auch wenn das anderen «falsch, unmoralisch und unvernünftig» erscheinen könne. Das schließe eben auch das Vernichten oder Beschädigen von Dingen ein, die andere noch nutzen könnten. Und warum überhaupt eine juristische Extrawurst nur für Lebensmittel? «Es wäre wenig plausibel, Milchfertigprodukte oder Gemüse vom Eigentumsschutz auszunehmen, die Wegnahme eines alten Brettes aus demselben Container zum selben Zeitpunkt aber mit Freiheitsstrafe zu bedrohen.»
Annika Dießner von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin hält die aktuellen strafrechtlichen Regelungen hingegen für überzogen und eine Entkriminalisierung für sinnvoll. Selbst wenn Richter im Einzelfall Milde walten ließen und keine Strafe für das «Containern» verhängten, müssten Betroffene im Falle einer Verurteilung immer noch die Kosten des Verfahrens tragen und stünden damit unter Umständen vor «erheblichen finanziellen Belastungen».
«Meiner Erfahrung nach werden die meisten Fälle des Containerns nicht strafrechtlich verfolgt», berichtet der Leipziger Anwalt Max Malkus. Falls es zum Verfahren komme, bleibe dies in der Regel ohne Urteil.
Der Aufwand sei völlig unverhältnismäßig, etwa wenn die Umstände des Einzelfalls zunächst in einem Gerichtsverfahren ermittelt würden.
Andere Länder hätten längst die Vernichtung genießbarer Lebensmittel verboten oder schrieben die Abgabe an wohltätige Organisationen vor.
Und was meinen die Tafeln, die beide Seiten sinnvoll finden im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung? Man sei «im Grunde nach der Auffassung, niemand sollte rechtlich dafür verfolgt werden, genießbare Lebensmittel zu retten, während deutschlandweit bis zu 12 Millionen Tonnen jährlich verschwendet werden», schreibt die Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, Evelin Schulz.
Aber die Debatte lenkt aus ihrer Sicht ab von der eigentlichen Frage: «Warum werfen Märkte Lebensmittel weg, anstatt sie zu spenden oder bereits vorher den Überschuss zu vermeiden? Ist es profitabler, wegzuschmeißen anstatt zu spenden?» Nötig seien vielmehr Aufklärung, Wertschätzung für die Lebensmittel und staatliche Unterstützung für die Tafeln, die in Deutschland vor allem ehrenamtlich arbeiteten. Die Organisation sammelt überschüssige Lebensmittel und verteilt sie an bedürftige Menschen.
Auch, wenn der Vorschlag der Linken nun im Rechtsausschuss diskutiert wird, glaubt der Obmann der Fraktion dort, Niema Movassat, allerdings nicht, dass sich vor der Bundestagswahl im September kommenden Jahres noch etwas tun wird.