Gezielte Schädlingskontrolle mit RNA-Spray

Umweltfreundlicher Pflanzenschutz: Zuckerrüben vor Vergilbungsviren schützen

05.01.2024
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Symbolbild

Schädlinge auf Pflanzen wirkungsvoll bekämpfen, ohne dabei anderen Organismen zu schaden – daran arbeiten Forschende in dem vom Julius Kühn-Institut (JKI) koordinierten Verbundprojekt ViVe_Beet, das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert wird. An dem Projekt beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des JKI-Instituts für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und des Instituts für Zuckerrübenforschung (IfZ). Die Projektpartner verfolgen den Ansatz, speziell zugeschnittene doppelsträngige RNA-Moleküle zu nutzen, welche mittels gängiger Auftragsmethoden in geeigneter Formulierung ausgebracht werden, um Zuckerrüben zukünftig vor Vergilbungsviren zu schützen.

© Fraunhofer IME, Leonie Graser

Die Grüne Pfirsichblattlaus ist Überträger von verschiedenen Vergilbungsviren, die zu hohen Einbußen in der Zuckerrübenernte führen.

Der Einsatz von chemisch-synthetischen Insektiziden und Pestiziden in der Landwirtschaft hat einen negativen Einfluss auf die Insektenvielfalt und Bienengesundheit. Deshalb hat die EU 2019 die Zulassung von systemisch wirksamen Neonikotinoiden auslaufen lassen, was jedoch zu neuen Problemen in der Landwirtschaft führte: Die Grüne Pfirsichblattlaus (Myzus persicae), eines der Insekten mit den meisten Resistenzen gegen chemisch-synthetische Insektizide, lässt sich seitdem schwer bekämpfen. Vor allem die Zuckerrübe ist stark betroffen, da die Pflanzenlaus Überträger von mehreren Vergilbungsviren ist, welche zu enormen Einbußen in der Zuckerrübenernte führen. »Wir reden hier von 20 bis 50 Prozent Ertragsverlust nur durch die Viren«, erläutert Maurice Pierry, der das Projekt ViVe_Beet am Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer IME in Gießen von Beginn an begleitet.

Neuer Ansatz der Schädlingsbekämpfung: RNA-Interferenz (RNAi)

Um die Pflanzenlaus nachhaltig und wirksam zu bekämpfen, sind neue Ansätze der Schädlingsbekämpfung dringend erforderlich. Das Fraunhofer IME und die Projektpartner JKI und Ifz wählen hierfür einen biologischen, artspezifischen Ansatz und arbeiten gemeinsam daran, die Pflanzenlaus durch RNA-Interferenz (RNAi) zu bekämpfen.

Die RNAi ist eine natürliche Immunantwort der Wirte auf fremdes virales Erbgut, welches oftmals als doppelsträngige RNA (dsRNA) vorliegt. Maurice Pierry erklärt: »Viren haben RNA als Erbgut, und wenn diese in die Zelle eines Lebewesens eindringt, in unserem Fall vom Insekt, dann wird diese von einem Enzym namens Dicer in kleinere sogenannte small interfering RNA (siRNA) zerteilt. Das Ganze wird dann in einen weiteren Enzymkomplex aufgenommen und als Schablone benutzt, um darauf passende mRNA-Sequenzen abzubauen. Wenn wir diese dsRNA so auswählen, dass sie auf ein lebenswichtiges Gen des Insekts passt, dann kann man den Organismus dahin bringen, sich durch sein eigenes RNAi-System wirksam zu kontrollieren.«

Vom Labortest bis zum Feldeinsatz

Zu Beginn des Projekts, mit einer Laufzeit von Oktober 2021 bis September 2024, mussten potenziell wirksame Gene und ihre Basensequenzen identifiziert werden. Darauffolgend wurde dsRNA, welche spezifisch auf diese Basensequenzen angepasst ist, über biologische Verfahren hergestellt. Pierry erläutert: »Als Erstes mussten wir ein Gen finden, das einen Effekt hat, wenn man es mit dem RNA-Interferenz-Mechanismus ausschaltet. Die Effekte variieren von Häutungsproblemen über Rückgang der Nachkommen bis hin zur erhöhten Mortalität der Schädlinge. Nach einigen Tests haben wir schließlich mehrere Gene gefunden, die zu einer hohen Mortalität bei der Blattlaus führen, wenn man sie ausschaltet. Damit war die erste Hürde geschafft.«

Im nächsten Schritt musste eine Formulierung gefunden werden, die das doppelsträngige RNA-Molekül vor möglichen Umweltfaktoren wie Temperatur, Feuchtigkeit, UV und RNA-abbauenden Enzymen beschützt, bis es am Zielort angekommen ist, z. B. im Darm der Blattlaus, wo es dann von der Zelle aufgenommen wird. »Auch da haben wir gute Ergebnisse erlangt. Das heißt unsere dsRNA ist geschützt von einer Formulierung, die den Effekt verbessert und lange haltbar ist«, so Pierry.

Inzwischen sind die Forschenden schon beim dritten Schritt: den ersten Sprühversuchen direkt an der Zielpflanze. »Wir haben eine RNA-Spray-Methode entwickelt, die wir in Gewächshausversuchen getestet haben. Bei unseren Sprühversuchen kommen wir bisher auf 70 Prozent Mortalität sowie einer Minderung der Populationsgröße. Das ist ein sehr guter Wert«, erläutert Pierry.

Der letzte Schritt sind dann Feldversuche, bei denen alle bisher ausgeklammerten Umweltfaktoren einbezogen werden. Diese werden im kommenden Sommer vom JKI und dem IfZ durchgeführt.

Selektives Pflanzenschutzmittel ist ungefährlich für andere Organismen

Der innovative Ansatz des Projektes ViVe_Beet birgt das Potenzial, künftig vollkommen neue, umweltverträgliche, selektive Pflanzenschutzmittel zu entwickeln. Denn die spezifischen natürlichen Moleküle könnten dabei nicht nur gegen Insekten, sondern auch gegen Viren oder Pilzerreger wirken. »Das Besondere daran ist also, dass die spezifisch angepasste dsRNA eine Wirkung auf den Ziel-Organismus hat, in unserem Fall die Grüne Pfirsichblattlaus, und nicht auf andere Organismen wie uns Menschen oder Nützlingen wie z.B. der Biene«, erklärt Pierry. Diese neue Methode der Schädlingsbekämpfung weckt Hoffnung auf nachhaltigen Pflanzenschutz und zeigt hohes Potenzial für die Zukunft.

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